Hatha Yoga Pradipika ab Kap. 1 Vers 33

Das Grundlagenwerk des Hatha Yoga von Swatmarama.

Mit Kommentaren von Brahmananda, Swami Vishnu-devananda, Sukadev und mir.

1. Kapitel, Vers 33

Mayurasana beseitigt schnell alle Krankheiten der Milz, des Bauches und weitere, und sie ist siegreich bei Dysbalance der Doshas. | Insbesondere verbrennt sie alle übermäßig verzehrte Nahrung zu Asche. Sie erzeugt ein Verdauungsfeuer, das sogar das schreckliche Gift Kala-kuta zu verdauen vermag.

 

Kommentar von Brahmananda:

 

Während die Götter und die Asuras den Ozean aufwühlten, war das erste Ding, das herauskam, das Gift Kalakoota oder Halahala. Es begann, die drei Welten zu verbrennen und kein Gott konnte überredet werden, es zu essen. Zu guter Letzt schluckte es Shiva. Aber ehe es seine Kehle abwärts gelangte, hielt Parvati es fest. So blieb es für immer dort, und Shivas Kehle wurde blau. Daher sein Name Kalakantha oder Neelekantha (Blaukehliger). Das enthüllt
offensichtlich ein großes kosmisches Geheimnis, verbunden mit der Entwicklung unseres Planetensystems.

 

Kommentar von Swami Vishnu-devananda:

 

Diese Asana heilt Leiden des Magens, der Drüsen und der Milz und beseitigt alle Beschwerden, die durch zu viel Winde, Galle oder Schleim verursacht sind. Sie verdaut mit Leichtigkeit unmäßig und durcheinander eingenommenes Essen und verwandelt sogar das schreckliche Gift Halahala zu Asche.

 

Kommentar von Sukadev:

 

Diese Asana heilt Leiden des Magens, der Drüsen und der Milz und beseitigt alle Beschwerden, die durch zu viel Winde, Galle oder Schleim verursacht sind.

Gut, das ist leider so übersetzt worden. Irgendwann sollten wir das mal ausradieren und die ursprünglichen Sanskritbegriffe reintun. Die Sanskritbegriffe, die dort stehen, sind Vata, Pita und Kapha. Gut, und damit behauptet der Swatmarama, dass, wenn man Mayurasana ausführt, diese drei Doshas, die im Ayurvedasystem eine große Rolle spielen, zum Gleichgewicht gebracht werden. Es ist also eine sehr gute Übung. Und man kann die Hatha Yoga Pradipika auch gut lesen, gerade wenn man Ayurveda etwas kennt, dann sieht man, dass da auf einige Konzepte der Ayurveda eingegangen wird, dass einem praktisch gezeigt wird, wo die Asanas das Ayurvedasystem gut ergänzen können. Und der Pfau verbrennt eben Gifte, die im Ayurveda auch Ama genannt werden. Und diese Gifte, wenn die verbrannt werden, dann kommen auch die Doshas wieder ins Gleichgewicht. Also eine ganze Menge.

Gut, das Erste – heilt Leiden des Magens, der Drüsen und der Milz. Auch Mayurasana erhöht das Verdauungsfeuer. Und wenn irgendjemand irgendwelche Verdauungsbeschwerden hat, würde ich mal raten, arbeitet mal ein viertel Jahr lang, die Mayurasana lange zu halten. Und so ist es durchaus wert, den Pfau zu üben und zu lernen versuchen. Natürlich, der Pfau wird sehr schwer, wenn nicht unmöglich, wenn die Länge der Oberarmknochen zu kurz ist. Dann reichen die Arme nicht rein. Je dicker der Bauch ist, um so schwerer wird’s. Umgekehrt, ist fast kein Bauchspeck da, und man geht in den Pfau, dann drücken die Ellbogen zuviel in die Organe und die Wirbelsäule. Das ist dann das Umgekehrte. So ne mittlere Bauchdecke ist am einfachsten. Ein Tipp für die Hyperschlanken: Man kann eine Decke oberhalb der Oberarme setzen, dann ist es etwas angenehmer. Dann drücken die Knochen der Ellbogen nicht so und quetschen die Organe vor der Wirbelsäule. Für manche kann es sehr schwierig werden, und manche können’s nicht machen, aber es können erheblich mehr Menschen den Pfau machen, als sie denken. Und wenn ihr die Füße noch nicht hochkriegt, dann haltet halt die Hände dort, gebt ein bisschen Druck in den Bauch und hebt den Kopf ein bisschen hoch. Lange halten heißt normalerweise eine halbe bis eine Minute, sehr viel länger hält man kaum Mayurasana. Mir hat mal jemand gesagt, man müsste fünf Minuten Mayurasana halten. Ich musste bei dreieinhalb Minuten aufgeben, ich hab’s ein halbes Jahr probiert. Fünf Minuten Pfau ist schwerer als zwei Stunden Kopfstand. Aber wer’s kann, also da gibt’s ganz besondere Wirkungen, wenn man lange Mayurasana hält.

Dann sagt er hier: Beseitigt alle Beschwerden, die durch zu viel Vata, Pita, Kapha verursacht sind. Man findet öfter, jetzt in dieser Übersetzung, Vata übersetzt mit Wind, Pita übersetzt mit Galle, und Kapha übersetzt mit Schleim. Im Sanskrit steht dort immer, wenn ihr Winde findet Vata, wenn ihr Galle findet Pita, und immer wenn ihr Schleim dort seht, findet ihr Kapha. Übrigens noch ein Wort zu Kapha. Kapha auf Sanskrit wird ausgesprochen Kapha. Aber die Hindis, noch ein weiteres Beispiel, bei den Hindis wird ph mit f ausgesprochen. Kaffa. Und da die meisten Ayurvedaärzte nicht Sanskrit, sondern Hindi sprechen, sagen sie Kaffa und nicht Kap-ha, wie es vom Sanskrit her korrekt wäre. Vata ist mehr die luftige Energie, Pita ist die feurige Energie, und Kapha ist die mehr wässrig-erdige Energie. Und die Theorie von Ayurveda bezüglich Krankheiten ist ja, dass Krankheiten kommen, wenn eines der drei Doshas aus seinem natürlichen Mischungsverhältnis herauskommt und zu stark wird. Wenn eben Vata zu stark wird, dann wird der Mensch unruhig, ängstlich, hat Schlafschwierigkeiten, kann sich nicht konzentrieren, und wird vielleicht sogar auch verstopft und so weiter. Wenn das Pita zu stark wird, wird der Mensch eher jähzornig, neigt zu Entzündungen und fühlt sich frustriert und ärgerlich. Wenn Kapha zu stark ist, wird der Mensch träge und hat keine Lust zu irgendwas und es geht in Depressionen, bekommt alle möglichen Gewebeansammlungen und Wasseraufschwemmungen und so weiter, und Schleimproduktion steigt zu weit. Und so, wenn Vata, Pita oder Kapha zu stark wird, dann gibt’s Probleme. So sind die Hatha-Yoga-Übungen auch dazu ausgerichtet, ein Übermaß von Vata, Pita und Kapha zu reduzieren. Und es gibt manche Übungen, die eine ganz spezifische Wirkung haben auf eines der Doshas, und es gibt manche Übungen, die, egal welches Dosha zuviel ist, dieses Dosha reduzieren. Mayurasana z.B., gilt als eine der Übungen, die ein zuviel an irgendwelchen Doshas reduzieren, und so die Doshas zur natürlich angeborenen Prakriti, der natürlich angeborenen Konstitution zurückführen. Gut, also Mayurasana ist gut gegen Unausgewogenheit von Vata, Pita, oder Kapha.

– Sie verdaut mit Leichtigkeit unmäßig und durcheinander eingenommenes Essen.

D.h. wer viel Pfau macht, der kann, der braucht weniger so genau auf seine Ernährung zu achten, mindestens langfristig. Kurzfristig ist es sogar so, wenn man die Asanas und Pranayama verstärkt, dann wird’s sogar so sein, dass man noch sensibler wird. Dann kann man gar nicht mehr die Dinge essen, die einem nicht mehr bekommen. Aber langfristig wird es so sein, dass das Verdauungsfeuer stärker wird, und man dann auch Dinge verdauen kann, die man vorher nicht so verdauen konnte. Das heißt jetzt nicht, das man direkt nach dem Essen den Pfau machen sollte. Obgleich ich euch jetzt eine mit Vorsicht zu genießende Sache sage. Wenn man gemerkt hat nach einer Mahlzeit, die Mahlzeit ist einem nicht bekommen, dann kann man auch einen Liter Salzwasser trinken, oder soviel reingeht, zwei, drei Finger in den Hals, sich übergeben, einen Einlauf nehmen. Anschließend noch mal einen halben bis dreiviertel Liter Wasser trinken und dann eine Minute Pfau machen. Dann ist die ganze Geschichte durch und man braucht jetzt nicht tagelang sich schlecht zu fühlen. Ich sage das, mit Vorsicht zu genießen, wenn jemand von euch ne Geschichte von Bulimie hatte, Ess-/Brechsucht, der macht das bitte nicht. Es ist besser, ein paar Tage übel zu sein, als wieder in diese Suchtkrankheit hinein zu versinken. Und selbstverständlich soll das jetzt keine Ausrede sein, dass man jetzt künftig alles essen kann und nachher weiß man ja, wie man damit umgeht. Aber wenn man mal irgendwo ist und man stellt eben fest, es wird einem übel und schlecht, anstatt da eine Woche zu leiden, kann man diese drei Dinge machen. Kunjar Kriya, Einlauf und noch mal etwas trinken und eine Minute oder so lange, wie es irgend geht Pfau machen. Vielleicht sogar drei oder vier Mal wiederholen. Und dann ist die Sache überstanden.

– und verwandelt sogar das schreckliche Gift Halahala zu Asche.

Das bezieht sich jetzt auf Verschiedenes. Ich habe mal den Mythos vom Milchozean erzählt. Dort habe ich den Mythos insgesamt auf’s Ego bezogen. Aber es gibt noch etwas anderes. Wenn wir intensiv üben, kommen auch verschiedene Reinigungserfahrungen. Und manche haben Reinigungserfahrungen in Form von Kopfweh, manche haben Reinigungserfahrungen in Form von Müdigkeit, manche haben Reinigungserfahrungen in Form von Emotionen und so weiter. Und wenn man merkt, dass dort viele Reinigungserfahrungen kommen, und auch z.B., was manchen Menschen passiert, dass sie mal, nachdem sie eine sehr hohe Erfahrung hatten, dass sie dann abstürzen. Da haben mir grad aus der Gruppe schon zwo Teilnehmerinnen davon erzählt, dort kann helfen, tatsächlich Mayurasana zwo oder drei Mal am Tag zu machen und auch länger zu halten. Kann man probieren. Das hilft, dass diese dunkle Energie, die schon da war und jetzt freigesetzt worden ist und die einen in so eine Depression reinstürzt, dass diese dann verbrannt wird. Also haltet das so im Hinterkopf. Wenn ihr irgendwie nach einer intensiven Praxis, anstatt das ihr euch besser fühlt, fühlt ihr euch irgendwie schlechter, macht dann den Pfau besonders häufig. Und natürlich noch wichtiger ist Beten, und einige Praktiken weitermachen, durchaus mit der gebotenen Sturheit. Nicht die Praktiken auf Null reduzieren, sondern sagen: Eine halbe Stunde am Tag mache ich jetzt diese Praktiken, ob ich Lust darauf hab oder nicht. Etwas braucht man, sonst kann man noch tiefer fallen. Und dafür haben wir ja die Buddhi, unseren Intellekt, unsere freie Urteilskraft, Unterscheidungskraft, dass wir nicht all das machen, wonach wir uns fühlen, sondern dass wir mal auch Dinge machen, wonach wir uns nicht fühlen. Und wenn’s mal eine Phase gibt, wo man eben in Depressionen hinein kommt und traurig ist und gar keine Lust zu irgendwas hat, wäre es wichtig, etwas zu machen. Einfach, damit das Prana nicht noch weiter abfällt, sondern um es etwas zu stabilisieren und dann kommt auch wieder der aufsteigende Ast. Und natürlich mit jemandem zu sprechen kann dann auch helfen, und Pfau eben auch.

Sanskrit Text

  • harati sakala-rogān āśu gulmodarādīn
    abhibhavati ca doṣān āsanaṁ śrī-mayūram |
    bahu-kad-aśana-bhuktaṁ bhasma kuryād aśeṣaṁ
    janayati jaṭharāgniṁ jārayet kāla-kūṭam ||33||
  • हरति सकलरोगानाशु गुल्मोदरादी-
    नभिभवति च दोषानासनं श्रीमयूरम् ।
    बहुकदशनभुक्तं भस्म कुर्यादशेषं
    जनयति जठराग्निं जारयेत्कालकूटम् ॥३३॥
  • harati sakala rogan ashu gulma udara adin
    abhibhavati cha doshan asanam shri mayuram |
    bahu kadashana bhuktam bhasma kuryad ashesham
    janayati jathara agnim jarayet kala kutam ||33||

 


1. Kapitel, Vers 34

Ausgestreckt wie eine Leiche auf dem Boden ruhen, dieses ist Shavasana. | Shavasana vertreibt die Müdigkeit und bringt Entspannung in den Geist und Körper.

 

Kommentar von Sukadev:

 

Auf dem Boden mit dem Rücken in voller Länge zu liegen wie ein Leichnam - Savasana -  genannt. Das erleichtert die Erschöpfung, die von anderen Asanas hervorgerufen wird, und bringt dem Geist Ruhe.

So habt ihr’s noch nicht gehört auf der Yogalehrerausbildung, der Sinn von Savasana. Aber ihr habt wahrscheinlich auch schon gespürt, gerade wenn man intensiv Asanas geübt hat. Aber ihr wisst ja, Shavasana hat natürlich auch noch andere Gründe. Es hilft, das Prana, das erweckt worden ist, die einzelnen Chakras, die geöffnet worden sind, […]  Praxis verkürzen, die Entspannung, vielleicht auf zwei Minuten, und das reicht ihnen auch aus. Machen vielleicht die Tiefenentspannung, die längere, in der Mittagspause, oder auch beim Einschlafen oder wenn sie von der Arbeit kommen. Und morgens die Tiefenentspannung ist kurz, aber mindestens diese zwei Minuten sollten schon da sein. Und wenn man merkt, dass die Asanapraxis energiemäßig besonders wirksam war, dann sollte man schon Tiefenentspannung so lange machen, bis man das Gefühl hat, es ist ruhig und harmonisch geworden. Und so wird auch der Geist ruhig.

Sanskrit Text

  • uttānaṁ śava-vad bhūmau śayanaṁ tac chavāsanam |
    śavāsanaṁ śrānti-haraṁ citta-viśrānti-kārakam ||34||
  • उत्तानं शबवद् भूमौ शयनं तच्छवासनम् ।
    शवासनं श्रान्तिहरं चित्तविश्रान्तिकारकम् ॥३४॥
  • uttanam shavavad bhumau shayanam tach chhavasanam |
    shavasanam shranti haram chitta vishranti karakam ||34||

 


1. Kapitel, Vers 35

Und 84 Asanas sind von Shiva beschrieben worden, | von diesen sind vier als Essenz extrahiert worden. [Diese] beschreibe ich.

 

Kommentar von Brahmananda:

 

Goraksha sagt: „Es gibt so viele Asanas, wie es lebende Wesen gibt. Shiva hat vierundachtzig Lakhs (ein Lakh = 100.000) gezählt, und nur er kennt sie. Von diesen hat er vierundachtzig ausgewählt, unter diesen vier am meisten von Bedeutung und Nutzen.

Sanskrit Text

  • catur-aśīty āsanāni śivena kathitāni ca |
    tebhyaś catuṣkam ādāya sāra-bhūtaṁ bravīmy aham ||35||
  • चतुरशीत्य् आसनानि शिवेन कथितानि च ।
    तेभ्यश् चतुष्कम् आदाय सारभूतं ब्रवीम्य् अहम् ॥३५॥
  • chatur ashity asanani shivena kathitani cha |
    tebhyash chatushkam adaya sara bhutam bravimy aham ||35||

 


1. Kapitel, Vers 36

Siddhasana, Padmasana, Simhaasana und Bharasana – also diese vier. | Von diesen ist Siddhasana sogar noch die beste und bequem zum fortwährenden Verweilen.

 

Kommentar von Vishnu-devananda:

 Es sind dies: Siddha, Padma, Simha und Bhadra. Von diesen ist die angenehmste und vortrefflichste Siddhasana.

Sanskrit Text

  • siddhaṁ padmaṁ tathā siṁhaṁ bhadraṁ veti catuṣ-ṭayam |
    śreṣṭhaṁ tatrāpi ca sukhe tiṣṭhet siddhāsane sadā ||36||
  • सिद्धं पद्मं तथा सिंहं भद्रं वेति चतुष्टयम् ।
    श्रेष्ठं तत्रापि च सुखे तिष्ठेत् सिद्धासने सदा ॥३६॥
  • siddham padmam tatha simham bhadram veti chatushtayam |
    shreshtham tatrapi cha sukhe tishthet siddhasane sada ||36||

 


1. Kapitel, Vers 37

Nun wird Siddhasana erklärt: Die Ferse wird direkt an den Beckenboden gelegt; der andere Fuß wird fest oberhalb des Genitals platziert. Nun wird das Kinn fest auf das Herz gedrückt. | Hier verweilend mit zurückgezogenen Sinnen, richtet [der Yogi] den Blick unbeweglich zwischen die Augenbrauen. Die Position ist als Siddhasana bekannt, da sie die Pforte zur Erlösung aufbricht.

 

Kommentar von Vishnu-devananda:

Drücke mit der Ferse fest an den Damm und bringe die andere Ferse über das Glied (oder das Schambein). Hefte dein Kinn eng auf deine Brust. Bleibe aufrecht, deine Organe unter Kontrolle, und richte deinen Blick auf den Punkt zwischen den Augenbrauen. Das wird Siddhasana genannt und beseitigt jedes Hindernis auf dem Weg zur Befreiung.

Sanskrit Text

  • atha siddhāsanam
    yoni-sthānakam aṅghri-mūla-ghaṭitaṁ kṛtvā dṛḍhaṁ vinyasen
    meṇḍhre pādam athaikam eva hṛdaye kṛtvā hanuṁ su-sthiram |
    sthāṇuḥ saṁyamitendriyo’cala-dṛśā paśyed bhruvor antaraṁ
    hy etan mokṣa-kapāṭa-bheda-janakaṁ siddhāsanaṁ procyate ||37||
  • अथ सिद्धासनम्
    योनिस्थानकमङ्घ्रिमूलघटितं कृत्वा दृढं विन्यसे-
    न्मेण्ढ्रे पादमथैकमेव हृदये कृत्वा हनुं सुस्थिरम् ।
    स्थाणुः संयमितेन्द्रियोऽचलदृशा पश्येद्भ्रुवोरन्तरं
    ह्येतन्मोक्षकपाटभेदजनकं सिद्धासनं प्रोच्यते ॥३७॥
  • atha siddhasanam
    yoni sthanakam anghri mula ghatitam kritva dridham vinyasen
    mendhre padam athaikam eva hridaye kritva hanum susthiram |
    sthanuh samyamitendriyo ‚chala drisha pashyed bhruvor antaram
    hy etan moksha kapata bheda janakam siddhasanam prochyate ||37||

 


1. Kapitel, Vers 38

Den linken Knöchel oberhalb des Genitals platzieren und den anderen Knöchel gleichermaßen oberhalb [des Genitals] ablegen. Auch dies wird [als Variation] Siddhasana genannt.

 

Kommentar von Vishnu-devananda:

Bringe die rechte Ferse über das Glied und die linke über die rechte Ferse. Das wird auch Siddhasana genannt.

 

Kommentar von Brahmananda:

Jene Siddhasana, wie sie in den vorangegangenen Slokas beschrieben wird, wird von den Nachfolgern Matsyendra praktiziert. Die nun beschriebene gehört zu den anderen Schulen.

Sanskrit Text

  • meṇḍhrād upari vinyasya savyaṁ gulphaṁ tathopari |
    gulphāntaraṁ ca nikṣipya siddhāsanam idaṁ bhavet ||38||
  • मेण्ढ्रादुपरि विन्यस्य सव्यं गुल्फं तथोपरि ।
    गुल्फान्तरं च निक्षिप्य सिद्धासनमिदं भवेत् ॥३८॥
  • mendhrad upari vinyasya savyam gulpham tathopari |
    gulpha antaram cha nikshipya siddhasanam idam bhavet ||38||

1. Kapitel, Vers 39

Diese [von mir als die] Position der Erleuchteten (Siddhasana) genannte, ist bei anderen als Diamanten-Stellung (Vajrasana) bekannt. | Einige nennen sie Befreite-Wesen-Position (Muktasana), wieder andere kennen sie als die geheime Position (Guptasana).

 

Kommentar von Vishnu-devananda:

Manche sagen, das sei Siddhasana, andere Vajrasana, andere Muktasana und andere Guptasana.

 

Sanskrit Text

  • etat siddhāsanaṁ prāhur anye vajrāsanaṁ viduḥ |
    muktāsanaṁ vadanty eke prāhur guptāsanaṁ pare ||39||
  • एतत्सिद्धासनं प्राहुरन्ये वज्रासनं विदुः ।
    मुक्तासनं वदन्त्येके प्राहुर्गुप्तासनं परे ॥३९॥
  • etat siddhasanam prahur anye vajrasanam viduh |
    muktasanam vadanty eke prahur guptasanam pare ||39||

1. Kapitel, Vers 40

Wie maßvolle Ernährung unter den Yamas und Gewaltlosigkeit unter den Niyamas am wichtigsten ist, | so ist unter den Asanas Siddhaasana, von den erleuchteten Wesen, als die Erste bekannt.

 *Anmerkung: Im Vers 17 wurden sowohl Mitahara (maßvolles Essen) als auch Ahimsa (Gewaltlosigkeit) unter die zehn Yamas gezählt, während im vorliegenden Vers Ahimsa als wichtigster der Niyamas erwähnt wird. Dies deutet darauf hin, dass die Verse 17 und 18 nicht zum ursprünglichen Text gehören, sondern vermutlich aus späteren Kommentaren übernommen worden sind, die offenbar durch das Yogasutra (II, 30) beeinflusst waren. Dort wird Ahimsa als erster und wichtigster der (fünf) Yamas aufgelistet (vgl. auch die Anm. zu Vers 17).

 

Kommentar von Sukadev

Die Siddhas sagen, dass unter den Niyamas die bedeutendste ist Ahimsa, niemandem ein Leid zuzufügen, und unter den Yamas eine gemäßigte Diät; so ist es mit Siddhasana unter den Asanas.

Es gibt verschiedene Namen, und das ist jetzt nicht so eindeutig zugeordnet. Die Namen der Asanas haben jetzt nicht unbedingt Mantracharakter. Das sind einfach Bezeichnungen. Die Virhabhadrasana wird dann als Helden– oder Kriegerstellung bezeichnet, aber eigentlich ist es die Stellung eines bestimmten Dieners von Shiva, der heißt Virhabhadra, aber Virha heißt auch,’der voller Kraft ist’, und dann kann man das genau so gut nennen‚’die auf einem Bein gebeugt stehende Übung’. Die Vorwärtsbeuge kann man Paschimottanasana nennen, Paschimottan – die die Wirbelsäule öffnet. Oder man kann sie nennen ‚die ‚Dwipadaasana, die Zweifußstellung’, weil wir da mit beiden Händen an die Füße gehen. Und so gibt’s verschiedene Namen, und manchmal bezeichnet sogar der gleiche Name zwei verschiedene Übungen. Selbst Sanskrit ist nicht so präzise. Jetzt hat er’s zwar ein bisschen durcheinander gebracht hier, denn Ahimsa gehört zu den Yamas, und die gemäßigte Diät hat er sowohl unter den Yamas als auch Niyamas. Aber die Hatha Yoga Pradipika ist keine logische Schrift. Will halt hier sagen, von allen Yamas und Niyamas ist Ahimsa wichtig. Beim Hatha Yoga ist besonders wichtig die richtige Ernährung, sattvige Ernährung. Und Siddhasana gilt als wichtigste Asana. Gerade für Pranayama, wer’s irgendwie kann, ist es empfehlenswert, Siddhasana zu üben und zu lernen.

Sanskrit Text

  • yameṣv iva mitāhāram ahiṁsā niyameṣv iva |
    mukhyaṁ sarvāsaneṣv ekaṁ siddhāḥ siddhāsanaṁ viduḥ ||40||
  • यमेष्व् इव मिताहारम् अहिंसा नियमेष्व् इव ।
    मुख्यं सर्वासनेष्व् एकं सिद्धाः सिद्धासनं विदुः ॥४०॥
  • yameshv iva mitaharam ahimsa niyameshv iva |
    mukhyam sarvasaneshv ekam siddhah siddhasanam viduh ||40||

1. Kapitel, Vers 41

Von den 84 Positionen soll Siddhasana wahrlich immer geübt werden. Sie reinigt die 72 Tausend Energiekanäle (Nadi) von Verunreinigungen.

 

Kommentar von Vishnu-devananda:

Von den vierundachtzig Asanas sollte man immer Siddhasana praktizieren. Sie reinigt alle 72000 Nadis.

Sanskrit Text

  • catur-aśīti-pīṭheṣu siddham eva sadābhyaset |
    dvā-saptati-sahasrāṇāṁ nāḍīnāṁ mala-śodhanam ||41||
  • चतुरशीतिपीठेषु सिद्धम् एव सदाभ्यसेत् ।
    द्वासप्ततिसहस्राणां नाडीनां मलशोधनम् ॥४१॥
  • chatur ashiti pitheshu siddham eva sadabhyaset |
    dva saptati sahasranam nadinam mala shodhanam ||41||

1. Kapitel, Vers 42

Über seine wahre Natur zu meditieren, über 12 Jahre ununterbrochen eine maßvolle Ernährung befolgen und Siddhasana praktizieren, so erreicht der Yogi die Selbstverwirklichung.

 

Kommentar von Sukadev:

Der Yogi erlangt die Erfüllung, der Besinnung auf Atman praktiziert, eine gemäßigte Ernährung beachtet und die Siddhasana zwölf Jahre lang praktiziert.

 

Natürlich nicht am Stück, sondern jeden Tag so ne Weile hält. Also auf Atman konzentrieren, gemäßigte Ernährung und Siddhasana. So, und jetzt kommt wieder eine typisch swatmaramaartige Übertreibung.

Sanskrit Text

  • ātma-dhyāyī mitāhārī yāvad-dvā-daśa-vatsaram |
    sadā siddhāsanābhyāsād yogī niṣpattim āpnuyāt ||42||
  • आत्मध्यायी मिताहारी यावद् द्वादशवत्सरम् ।
    सदा सिद्धासनाभ्यासाद् योगी निष्पत्तिम् आप्नुयात् ॥४२॥
  • atma dhyayi mitahari yavad dva dasha vatsaram |
    sada siddhasanabhyasad yogi nishpattim apnuyat ||42||

1. Kapitel, Vers 43

Wozu viele andere Positionen, wenn Siddhasana einmal perfektioniert ist? Der Fluss des Prana ist mit Kevala-Kumbhaka gelenkt und kontrolliert. | Wahrlich der Zustand von Unmani steigt sofort ohne Anstrengung spontan und von alleine auf.

 

Kommentar von Sukadev:

Wenn die Siddhasana gemeistert wird und der Atem durch die Anwendung von Kevala Kumbhaka sorgfältig zurückgehalten wird, wozu noch die verschiedenen anderen Asanas?

Sanskrit Text

  • kim anyair bahubhiḥ pīṭhaiḥ siddhe siddhāsane sati |
    prāṇānile sāvadhāne baddhe kevala-kumbhake |
    utpadyate nirāyāsāt svayam evonmanī kalā ||43||
  • किमन्यैर्बहुभिः पीठैः सिद्धे सिद्धासने सति ।
    प्राणानिले सावधाने बद्धे केवलकुम्भके ।
    उत्पद्यते निरायासात्स्वयमेवोन्मनी कला ॥४३॥
  • kim anyair bahubhih pithaih siddhe siddhasane sati |
    prananile savadhane baddhe kevala kumbhake |
    utpadyate nirayasat svayam eva unmani kala ||43||

1. Kapitel, Vers 44

Und, wenn allein Siddhasana stabil eingenommen worden ist, dann entstehen die drei Verschlüsse ohne Anstrengung ganz von selbst.

Anmerkung: Der Kommentator Brahmananda zählt die drei Verschlüsse (Bandhatraya) auf: Mula Bandha, Uddiyana Bandha und Jalandhara Bandha.

 

Kommentar von Sukadev:

Wenn Siddhasana gemeistert ist, folgen Unmani Avastha (später beschrieben), die Entzücken gibt, der Mond und die drei Bandhas ohne Mühe und ganz natürlich.

Unmani Avastha ist der Hatha Yoga Ausdruck für Samadhi. Avastha heißt Zustand. Unmani, da gibt’s zwei Erklärungen. Das eine ist der Edelsteinzustand. Mani ist der Edelstein, Unmani ist ein besonderer Edelstein. Und es kommt auch von der Wurzel Mani, der Geist. Unmani, jenseits des Geistes. Avastha – Zustand jenseits des Geistes, der ein großartiger Zustand ist, also Samadhi. Und das gibt natürlich Ananda, hier als Entzücken übersetzt. Und dann beschreibt er hier, dann kommt der Mond. Und der Mond steht dann dafür, das die Mondenergie aktiviert ist, was auch eine ekstatische Energie ist und Nektar bringt. Und die drei Bandhas, die Verschlüsse, die verhindern, dass Energie nach außen geht. Man kann’s aber auch noch anders erklären. Wenn wir Siddhasana meistern, dann ist die Meditation leicht. Dann können wir über Unmani Avastha meditieren, das ist die Grundlage für die Meditationshaltung. Außerdem für Khechari Mudra, welches die Mondenergie aktiviert, ist auch Siddhasana ne gute Grundlage. Und natürlich für die drei Bandhas auch. Und so ist es gut, die Siddhasana zu üben. Will ich euch also dafür motivieren. Swatmarama will euch noch ganz besonders motivieren.

Sanskrit Text

  • tathaikasminn eva dṛḍhe baddhe siddhāsane sati |
    bandha-trayam anāyāsāt svayam evopajāyate ||44||
  • तथैकास्मिन्नेव दृढे बद्धे सिद्धासने सति ।
    बन्धत्रयमनायासात्स्वयमेवोपजायते ॥४४॥
  • tathaikasminn eva dridhe baddhe siddhasane sati |
    bandha trayam anayasat svayam evopajayate ||44||

1. Kapitel, Vers 45

Es gibt keine Position (Asana) vergleichbar mit Siddhasana, keine Atemtechnik (Kumbhaka) vergleichbar mit Kevala-Kumbhaka, | kein Mudra vergleichbar mit Khecari-Mudra, keinen Klang (Nada) vergleichbar mit der Stille (Laya).

*Anmerkung: Das letzte Versviertel (na nāda-sadṛśo layaḥ) ist analog den parallelen Konstruktionen in den übrigen Versvierteln zu verstehen. Der Kommentator Brahmananda formuliert es so: „Es gibt (asti) keine (na) Auflösung (Laya, d.h. keine diese Auflösung (bewirkende) Ursache (Hetu), die (der Konzentration auf den unangeschlagenen) Ton (Nada) vergleichbar (Sadrisha) ist“ (nāda-sadṛśo layo laya-hetur nāsti).

 

Kommentar von Sukadev:

Es gibt keine Asana wie die Siddha, kein Kumbhaka wie das Kevala, kein Mudra wie das Khechari und kein Laya

das heißt Konzentrationstechnik hier,

– (Aufsaugen des Geistes) wie Nada.

Darüber spricht er im vierten Kapitel mehr.

Sanskrit Text

  • nāsanaṁ siddha-sadṛśaṁ na kumbhaḥ kevalopamaḥ |
    na khecarī-samā mudrā na nāda-sadṛśo layaḥ ||45||
  • नासनं सिद्धसदृशं न कुम्भः केवलोपमः ।
    न खेचरीसमा मुद्रा न नादसदृशो लयः ॥४५॥
  • nasanam siddha sadrisham na kumbhah kevalopamah |
    na khechari sama mudra na nada sadrisho layah ||45||

1. Kapitel, Vers 46

Nun wird die Lotus-Position (Padmasana) erklärt: Der rechte Fuß wird auf dem linken Oberschenkel platziert, analog der linke Fuß auf dem rechten Oberschenkel; Die Hände werden [nun] weit hinter dem Rücken überkreuzt, bis [sie] zu den großen Zehen [fassen]. Das Kinn wird auf dem Herzen platziert. Man soll [ferner] zur Nasenspitze blicken. Dies bewirkt die Auflösung aller Krankheiten und ist bei den Yogis bekannt.

 

Kommentar von Brahmananda:

Eine geheime Lehre ist, dass ein Abstand von acht Zentimetern zwischen dem Kinn und der Brust sein sollte.

Sanskrit Text

  • atha padmāsanam-
    vāmorūpari dakṣiṇaṁ ca caraṇaṁ saṁsthāpya vāmaṁ tathā
    dakṣorūpari paścimena vidhinā dhṛtvā karābhyāṁ dṛḍham |
    aṅguṣṭhau hṛdaye nidhāya cibukaṁ nāsāgram ālokayet
    etad vyādhi-vināśa-kāri yamināṁ padmāsanaṁ procyate ||46||
  • अथ पद्मासनम्
    वामोरूपरि दक्षिणं च चरणं संस्थाप्य वामं तथा
    दक्षोरूपरि पश्चिमेन विधिना धृत्वा कराभ्यां दृढम् ।
    अङ्गुष्ठौ हृदये निधाय चिबुकं नासाग्रमालोकयेत्
    एतद्व्याधिविनाशकारि यमिनां पद्मासनं प्रोच्यते ॥४६॥
  • atha padmasanam
    vamorupari dakshinam cha charanam samsthapya vamam tatha
    dakshorupari pashchimena vidhina dhritva karabhyam dridham |
    angushthau hridaye nidhaya chibukam nasagram alokayet
    etad vyadhi vinasha kari yaminam padmasanam prochyate ||46||

1. Kapitel, Vers 47

Die Fußsohlen werden achtsam nach oben zeigend auf die Oberschenkel gelegt, die Hände ebenso dazwischen nach oben gerichtet. Dorthin wird der Blick gelenkt..

 

Kommentar von Vishnu-devananda:

Ein anderer Ansatz: Bringe die Füße fest (die Sohlen nach oben) auf die gegenüberliegenden Oberschenkel und lege die Hände (Handteller nach oben) übereinander in die Mitte. Lenke deine Augen auf die Spitze der Nase und lege die Spitze der Zunge an die Hälse der Vorderzähne. Bringe das Kinn auf die Brust und hole das Prana langsam aufwärts (durch das Zusammenziehen des Anus im Mula Bandha).

Sanskrit Text

  • uttānau caraṇau kṛtvā ūru-saṁsthau prayatnataḥ |
    ūru-madhye tathottānau pāṇī kṛtvā tato dṛśau ||47||
  • उत्तानौ चरणौ कृत्वा ऊरुसंस्थौ प्रयत्नतः ।
    ऊरुमध्ये तथोत्तानौ पाणी कृत्वा ततो दृशौ ॥४७॥
  • uttanau charanau kritva uru samsthau prayatnatah |
    uru madhye tathottanau pani kritva tato drishau ||47||

1. Kapitel, Vers 48

Den Blick auf die Nasenspitze gerichtet, dann die Zunge an die Wurzel der Schneidezähne nach oben gerollt, das Kinn auf der Brust [gesenkt], [so] kann die Lebensenergie langsam nach Oben gezogen werden.

*Anmerkung: Vgl. Vers 47. Vers 48 setzt den im letzten Versviertel von Vers 47 begonnenen Satz fort.

**Anmerkung: Der Kommentator Brahmananda erklärt, dass es sich hierbei um den Zungenverschluss (Jihva Bandha) handelt, dessen korrekte Ausführung nur aus dem Munde (Mukha) des Lehrers (Guru) zu erfahren (avagantavya) ist: guru-mukhād-avagantavyo ‚yaṃ jihvā-bandhaḥ.

***Anmerkung: Brahmananda ergänzt, dass das Aufwärtslenken des „Windes“ mithilfe von Mula Bandha geschieht, welches ebenfalls nur vom Lehrer übermittelt wird: „damit (anena) wird auf Mula Bandha verwiesen (Prokta)“ (anena mūla-bandhaḥ proktaḥ).

 

Kommentar von Vishnu-devananda:

Das ist Padmasana, die alle Beschwerden zerstört. Sie kann nicht von gewöhnlichen Sterblichen erlangt werden, sondern nur einige aufnahmefähige Personen können sie erlangen.

Sanskrit Text

  • nāsāgre vinyased rāja-danta-mūle tu jihvayā |
    uttambhya cibukaṁ vakṣasy utthāpya pavanaṁ śanaiḥ ||48||
  • नासाग्रे विन्यसेद्राजदन्तमूले तु जिह्वया ।
    उत्तम्भ्य चिबुकं वक्षस्युत्थाप्य पवनं शनैः ॥४८॥
  • nasagre vinyased raja danta mule tu jihvaya |
    uttambhya chibukam vakshasy utthapya pavanam shanaih ||48||

1. Kapitel, Vers 49

Dies wird Padmasana genannt. [Diese Position] zerstört alle Krankheiten. Sie ist von den meisten Menschen und sogar den Weisen auf dieser Welt schwer zu bewerkstelligen.

Sanskrit Text

  • idaṁ padmāsanaṁ proktaṁ sarva-vyādhi-vināśanam |
    dur-labhaṁ yena kenāpi dhīmatā labhyate bhuvi ||49||
  • इदं पद्मासनं प्रोक्तं सर्वव्याधिविनाशनम् ।
    दुर्लभं येन केनापि धीमता लभ्यते भुवि ॥४९॥
  • idam padmasanam proktam sarva vyadhi vinashanam |
    durlabham yena kenapi dhimata labhyate bhuvi ||49||

1. Kapitel, Vers 50

Die Hände wie eine Schale ruhig formen, Padmasana einnehmen [und] das Kinn fest auf die Brust senken. [Nun] atmet [der Yogi] mit seiner Vorstellung immer wieder Apana (nach unten strömende Energie) nach oben aus und Prana (nach oben strömende Energie) nach unten ein. So wird im Menschen die Basis für Weisheit und unvergleichbare Energie [geschaffen].

*Anmerkung: Der Kommentator Brahmananda erklärt, dass sich „jenes“ (Tad), worüber man meditieren soll, entweder auf die Form (Rupa) der jeweiligen eigenen (SvaSva) Gottheit (Ishtadevata) oder () das Brahman bezieht: tat sva-sveṣṭa-devatā-rūpaṃ brahma vā.

 

Kommentar von Brahmananda:

Durch die Vereinigung von Prana und Apana wird das Magen-Feuer gesteigert und die Schlange Kundalini (die dreieinhalb Mal um Sushumna geringelt liegt, deren Öffnung sie mit ihrem Mund schließt) fühlt dies und beginnt sich zu bewegen, streckt sich und nimmt ihren Weg aufwärts. Dann sollten Prana und Apana durch die Öffnung in die Sushumna getrieben werden. Der in diesem Vers beschriebene Vorgang ist der von Jalandhara Bandha.

 

Kommentar von Vishnu-devananda:

Von der Padmasana Stellung ausgehend und mit den Handflächen übereinander setze dein Kinn kräftig auf die Brust und besinne dich auf Brahman, ziehe immer wieder den Anus zusammen und bringe Apana aufwärts. Durch eine ähnliche Zusammenziehung der Kehle treibe Prana abwärts. Dadurch bekommt man unvergleichliches Wissen durch die Kraft der Kundalini (die durch diesen Vorgang hochgezogen wird).

Sanskrit Text

  • kṛtvā sampuṭitau karau dṛḍhataraṁ baddhvā tu padmāsanaṁ
    gāḍhaṁ vakṣasi sannidhāya cibukaṁ dhyāyaṁś ca tac cetasi |
    vāraṁ vāram apānam ūrdhvam anilaṁ protsārayan pūritaṁ
    nyañcan prāṇam upaiti bodham atulaṁ śakti-prabhāvān naraḥ ||50||
  • कृत्वा सम्पुटितौ करौ दृढतरं बद्ध्वा तु पद्मासनं
    गाढं वक्षसि सन्निधाय चिबुकं ध्यायंश्च तच्चेतसि ।
    वारं वारमपानमूर्ध्वमनिलं प्रोत्सारयन्पूरितं
    न्यञ्चन्प्राणमुपैति बोधमतुलं शक्तिप्रभावान्नरः ॥५०॥
  • kritva samputitau karau dridhataram baddhva tu padmasanam
    gadham vakshasi sannidhaya chibukam dhyayansh cha tach chetasi |
    varam varam apanam urdhvam anilam protsarayan puritam
    nyanchan pranam upaiti bodham atulam shakti prabhavan narah ||50||

1. Kapitel, Vers 51

Der Yogi, der in Padmasana sitzend die Lebensenergie durch die Öffnung der Nadis einatmen und halten kann, der ist ist sicherlich ein befreites Wesen. Diesbezüglich besteht kein Zweifel.

*Anmerkung: Der Kommentator Brahmananda erkärt, dass mit nāḍī-dvāreṇa („durch den Kanal“) hier der „Weg“ (Marga) der Sushumna gemeint ist, über den der „Wind“ (Maruta) zum Kopf bzw. Scheitel (Murdhan) geleitet wird (nītvā): mārutaṃ … suṣumnā-mārgeṇa mūrdhānaṃ nītvā.

Sanskrit Text

  • padmāsane sthito yogī nāḍī-dvāreṇa pūritam |
    mārutaṁ dhārayed yas tu sa mukto nātra saṁśayaḥ ||51||
  • पद्मासने स्थितो योगी नाडीद्वारेण पूरितम् ।
    मारुतं धारयेद्यस्तु स मुक्तो नात्र संशयः ॥५१॥
  • padmasane sthito yogi nadi dvarena puritam |
    marutam dharayed yas tu sa mukto natra samshayah ||51||

1. Kapitel, Vers 52

Nun die Löwen-Position (Simhasana): [Der Yogi] platziert die Knöchel unterhalb des Scrotums auf beiden Seiten des Beckenbodens, der linke Knöchel auf der rechten Seite, der rechte natürlich auf der linken Seite.

 

Kommentar von Swami Vishnu-devananda:

 

Dann wird Simhasana beschrieben: Bringe die Knöchel auf den Körperteil zwischen Anus und Hodensack – den rechten Knöchel auf dessen linke Seite, den linken Knöchel auf die rechte.

Sanskrit Text

  • atha siṁhāsanam-
    gulphau ca vṛṣaṇasyādhaḥ sīvanyāḥ pārśvayoḥ kṣipet |
    dakṣiṇe savya-gulphaṁ tu dakṣa-gulphaṁ tu savyake ||52||
  • अथ सिंहासनम्
    गुल्फौ च वृषणस्याधः सीवन्याः पार्श्वयोः क्षिपेत् ।
    दक्षिणे सव्यगुल्फं तु दक्षगुल्फं तु सव्यके ॥५२॥
  • atha simhasanam
    gulphau cha vrishanasyadhah sivanyah parshvayoh kshipet |
    dakshine savya gulpham tu daksha gulpham tu savyake ||52||

1. Kapitel, Vers 53

Die Hände werden auf den Knien platziert, die Finger weit gespreizt und der Mund geöffnet, es soll konzentriert auf die Nasenspitze geblickt werden.

 *Anmerkung: Der Kommentator Brahmananda ergänzt, dass bei Simhasana aus dem geöffneten Mund (Mukha) die „züngelnde Zunge“ (lalaj-Jihva herausgestreckt (samprasārita) wird: samprasārita-lalaj-jihva-mukhaḥ.

 

Kommentar von Swami Vishnu-devananda:

 

Bringe die Handflächen auf die Knie, strecke die Finger und lenke die Augen zur Spitze der Nase, mit geöffneten Mund und konzentriertem Geist.

Sanskrit Text

  • hastau tu jānvoḥ saṁsthāpya svāṅgulīḥ samprasārya ca |
    vyātta-vaktro nirīkṣeta nāsāgraṁ su-samāhitaḥ ||53||
  • हस्तौ तु जान्वोः संस्थाप्य स्वाङ्गुलीः सम्प्रसार्य च ।
    व्यात्तवक्त्रो निरीक्षेत नासाग्रं सुसमाहितः ॥५३॥
  • hastau tu janvoh samsthapya svangulih samprasarya cha |
    vyatta vaktro niriksheta nasagram susamahitah ||53||

1. Kapitel, Vers 54

Diese Position ist Simhasana. Sie wird von den besten Yogis verehrt. Sie bewirkt die Einheit der drei Bandhas und ist die Beste der Asanas.

 *Anmerkung: Der Kommentator Brahmananda ergänzt, dass bei Simhasana aus dem geöffneten Mund (Mukha) die „züngelnde Zunge“ (lalaj-Jihva herausgestreckt (samprasārita) wird: samprasārita-lalaj-jihva-mukhaḥ.

 

Kommentar von Swami Vishnu-devananda:

 

Das ist Simhasana, von den höchsten Yogis in großer Wertschätzung gehalten. Diese ganz vortreffliche Asana fördert die drei Bandhas.

Sanskrit Text

  • siṁhāsanaṁ bhaved etat pūjitaṁ yogi-puṅgavaiḥ |
    bandha-tritaya-sandhānaṁ kurute cāsanottamam ||54||
  • सिंहासनं भवेद् एतत् पूजितं योगिपुङ्गवैः ।
    बन्धत्रितयसन्धानं कुरुते चासनोत्तमम् ॥५४॥
  • simhasanam bhaved etat pujitam yogi pungavaih |
    bandha tritaya sandhanam kurute cha asana uttamam ||54||

1. Kapitel, Vers 55

Nun die Glücksverheißende Position (Bhadrasana): Die Knöchel werden unterhalb des Scrotums an beiden Seiten des Beckenbodens platziert. Der linke Knöchel auf die linke Seite, analog das rechte Knöchel auf die rechte Seite.

 

Kommentar von Swami Vishnu-devananda:

 

Als nächste die Bhadrasana: Lege die Knöchel über die Seiten der Sivni (den Teil zwischen Anus und Hodensack, den Damm). Den rechten auf die rechte und den linken auf die linke Seite.

Sanskrit Text

  • atha bhadrāsanam-
    gulphau ca vṛṣaṇasyādhaḥ sīvanyāḥ pārśvayoḥ kṣipet |
    savya-gulphaṁ tathā savye dakṣa-gulphaṁ tu dakṣiṇe ||55||
  • अथ भद्रासनम्
    गुल्फौ च वृषणस्याधः सीवन्याः पार्श्वयोः क्षिप्ते ।
    सव्यगुल्फं तथा सव्ये दक्षगुल्फं तु दक्षिणे ॥५५॥
  • atha bhadrasanam
    gulphau cha vrishanasyadhah sivanyah parshvayoh kshipet |
    savya gulpham tatha savye daksha gulpham tu dakshine ||55||

1. Kapitel, Vers 56

Die Seiten der Füße werden mit beiden Händen fest und unbeweglich gehalten. | Dieses ist Bhadrasana und es zerstört alle Krankheiten. | Die erleuchteten Yogis sagen, dass dies gewisslich die Position von Goraksha (Gorakshasana) ist.

 

Kommentar von Swami Vishnu-devananda:

 

Dann verbinde die Oberschenkel, indem du deine Hände um sie windest. Das ist Bhadrasana und zerstört alle Krankheiten.

Die Siddhas und die Yogis nennen diese Gorakshasana. Also sollte der Yogi unermüdlich all diese Asanas praktizieren, bis er keine Schmerzen oder Erschöpfung fühlt.

Sanskrit Text

  • pārśva-pādau ca pāṇibhyāṁ dṛḍhaṁ baddhvā su-niścalam |
    bhadrāsanaṁ bhaved etat sarva-vyādhi-vināśanam |
    gorakṣāsanam ity āhur idaṁ vai siddha-yoginaḥ ||56||
  • पार्श्वपादौ च पाणिभ्यां दृढं बद्ध्वा सुनिश्चलम् ।
    भद्रासनं भवेद् एतत् सर्वव्याधिविनाशनम् ।
    गोरक्षासनम् इत्य् आहुर् इदं वै सिद्धयोगिनः ॥५६॥
  • parshva padau cha panibhyam dridham baddhva su nishchalam |
    bhadrasanam bhaved etat sarva vyadhi vinashanam |
    gorakshasanam ity ahur idam vai siddha yoginah ||56||

1. Kapitel, Vers 57

Auf diese Weise sollen die Besten der Yogis ihre Müdigkeit durch [die Praxis von] Asana und Bandha besänftigen | und [dann] Mudra und Pranayama zur Reinigung der Nadis praktizieren.

 *Anmerkung: Der Kommentator Brahmananda versteht hier allerdings bandha nicht als „Verschluss“, sondern als die verschiedenen Arten (Prakara) von Asanas, die ebenfalls als Bandha bzw. Bandhana bezeichnet werden: āsana-bandheṣu bandhana-prakāreṣu.

 

Kommentar von Swami Vishnu-devananda:

 

Dann sollte er seine Nadis mit der Druchführung von Pranayama reinigen und die Mudras und Kumbhakas verschiedenster Art praktizieren.

Das ist die Hauptsache. Nach der Durchführung der Asanas müsst ihr nun die Nadis reinigen, die Nerven. Das ist, worin das zweite Kapitel unterweist.

Sanskrit Text

  • evam āsana-bandheṣu yogīndro vigata-śramaḥ |
    abhyasen nāḍikā-śuddhiṁ mudrādi-pavana-kriyām ||57||
  • एवम् आसनबन्धेषु योगीन्द्रो विगतश्रमः ।
    अभ्यसेन् नाडिकाशुद्धिं मुद्रादिपवनीक्रियाम् ॥५७॥
  • evam asana bandheshu yogindro vigata shramah |
    abhyasen nadika shuddhim mudradi pavana kriyam ||57||

1. Kapitel, Vers 58

Asana, Variationen von Kumbhaka [und] Übung von Mudra [heißen] diese Techniken. | Dann kommt Konzentration auf den Klang. Das [ist] die Abfolge der Praxis im Hatha-Yoga.

 *Anmerkung: Der Kommentator Brahmananda versteht hier allerdings bandha nicht als „Verschluss“, sondern als die verschiedenen Arten (Prakara) von Asanas, die ebenfalls als Bandha bzw. Bandhana bezeichnet werden: āsana-bandheṣu bandhana-prakāreṣu.

 

Kommentar von Swami Vishnu-devananda:

 

Dann kommt als nächstes in einem Lehrgang des Yoga die Konzentration auf Nada (Klänge vom Anahata Chakra oder dem Herz-Plexus).

Nun, nach Pranayama, gehen wir zur Meditation. Hier nimmt sie die Form der Konzentration auf den inneren Klang an. Wir werden später darauf eingehen.

Sanskrit Text

  • āsanaṁ kumbhakaṁ citraṁ mudrākhyaṁ karaṇaṁ tathā |
    atha nādānusandhānam abhyāsānukramo haṭhe ||58||
  • आसनं कुम्भकं चित्रं मुद्राख्यं करणं तथा ।
    अथ नादानुसन्धानम् अभ्यासानुक्रमो हठे ॥५८॥
  • asanam kumbhakam chitram mudrakhyam karanam tatha |
    atha nadanusandhanam abhyasanukramo hathe ||58||

1. Kapitel, Vers 59

Jemand der im Bewusstsein des Absoluten wandelt (Brahma-Chari), sich nach dem rechten Maß ernährt (Mitahari), zurückgezogen lebt (Tyagi) und sich dem Yoga ganz hingegeben hat, | der wird nach einem Jahr ein erleuchtetes Wesen (Siddhi). [Darüber gibt es] keinen Grund für Zweifel.

 *Anmerkung: Der Kommentator Brahmananda gibt die folgenden beiden Bedeutungen von Tyagin an: ein „Entsagender“ (tyāgī) ist einer, der freigebig ist – „dessen Gewohnheit (Shila) das Geben (Dana) ist“ – oder () einer, der (die Anhaftung an alle) Sinnesobjekte (Vishaya) aufgegeben hat (tyāgī dāna-śīlo viṣaya-parityāgī vā).

 

Kommentar von Swami Vishnu-devananda:

 

Der Brahmachari (Verehrer von Brahman), der im Führen eines keuschen Lebens und Einhalten einer maßvollen Ernährung diesen Yoga praktiziert und die Früchte seiner Taten zurückweist, wird in wenig mehr als einem Jahr ein Siddha. Darüber gibt es keinen Zweifel.

Dafür müsst ihr all diese Dinge angemessen praktizieren.

Sanskrit Text

  • brahmachari mitahari tyagi yoga parayanah |
    abdad urdhvam bhavet siddho natra karya vicharana ||59||
  • ब्रह्मचारी मिताहारी त्यागी योगपरायणः ।
    अब्दादूर्ध्वं भवेत्सिद्धो नात्र कार्या विचारणा ॥५९॥
  • brahmacārī mitāhārī tyāgī yoga-parāyaṇaḥ |
    abdād ūrdhvaṁ bhavet siddho nātra kāryā vicāraṇā ||59||